Tiefeninterviews im Agribusiness: Warum Expertengespräche zunehmend unverzichtbar werden?
Susanne Honold • 10. April 2024
Warum gewinnen Tiefeninterviews im Agribusiness an Bedeutung?
In einer Zeit, in der die Landwirtschaft durch rasante technologische Entwicklungen, sich wandelnde Marktbedingungen und neue Anforderungen an Nachhaltigkeit geprägt ist, wird ein direkter und tiefer Einblick in die Bedürfnisse und Perspektiven der Landwirte immer wichtiger. Tiefeninterviews ermöglichen es, über oberflächliche Trends hinauszuschauen und die wahren Beweggründe der Landwirte aus deren eigener Sicht zu verstehen. Diese Methode erlaubt es, differenzierte Einblicke zu gewinnen, die in quantitativen Umfragen oft untergehen. In einer Branche, die auf zwischenmenschlichen Beziehungen und langfristigem Vertrauen basiert, bieten Tiefeninterviews einen unvergleichlichen Zugang zu wertvollen Informationen, die für die Entwicklung zielgerichteter Strategien in Agrarunternehmen und -organisationen unerlässlich sind.
Definition qualitativer Marktforschung im Agribusiness
Der Begriff "Tiefeninterview" leitet sich aus dem Englischen "In-Depth Interview (IDI)" ab und bezeichnet eine qualitative Methode in der Marktforschung, die vor allem in dynamischen Branchen wie dem Agribusiness an Bedeutung gewinnt. Bei dieser Methode, oft auch als Experteninterview bezeichnet, steht die Sammlung von umfassenden und unverzerrten Informationen im Vordergrund. Durchgeführt werden diese Interviews in der Regel telefonisch oder persönlich von einem erfahrenen Interviewer.

Abb.1 Telefonische Erhebung durch erfahrene Berater
Tiefgehende Einblicke durch authentische Gespräche auf Augenhöhe
Die Qualität eines Tiefeninterviews hängt wesentlich von der Fähigkeit des Fragenden ab, gestützt auf fundiertes Agrarwissen, eine vertrauensvolle und entspannte Atmosphäre zu schaffen. Hier komme ich ins Spiel: Mit über 20 Jahren Erfahrung im Agribusiness und meinem Hintergrund als Bauernkind begegne ich jedem Gesprächspartner auf Augenhöhe und spreche die Sprache der Landwirte. Diese authentische Kommunikationsebene ermöglicht es, tiefgehende und ehrliche Einblicke in die Welt der Landwirtschaft zu gewinnen. Der offene Dialog fördert nicht nur die Erzählbereitschaft der Landwirte, sondern etabliert auch ein Vertrauensverhältnis, das oft mit den Worten endet: "Wenn Sie mehr wissen wollen, rufen Sie mich gerne wieder an."
Durchführung in 7 Schritten

Abb.2 Ablauf der Durchführung von Tiefeninterviews
Flexible Leitfäden und gezielte Hypothesen: Der Schlüssel zu erfolgreichen Tiefeninterviews
Die Durchführung der Tiefeninterviews folgt einem flexiblen Leitfaden, der in enger Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber entwickelt wird. Die anfängliche Hypothesenbildung ist hierbei entscheidend, denn sie gibt die Richtung vor und gewährleistet, dass die Gespräche zielorientiert geführt werden.
Festlegung des Studiendesigns und der Zielgruppe
Die Qualität des Studiendesigns bestimmt die Qualität der Ergebnisse. Eine der größten Herausforderungen dabei ist die Auswahl einer geeigneten Stichprobe, die genau zur Fragestellung passt – von zufällig gewählt bis hin zu gezielt ausgewählt. Eine maßgeschneiderte Stichprobe zu erstellen, erstreckt sich über alle Arten von landwirtschaftlichen Betrieben. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Betriebsform, Betriebsgröße, Region, Thema oder andere Merkmale es sich handelt. Dank unserer umfassenden Expertise und Datenbank von mehreren tausend Adressen, die streng DSGVO-konform geführt wird, können wir sicherstellen, dass die ausgewählten Landwirte genau die Anforderungen der jeweiligen Studie erfüllen. So gewährleisten wir, dass wir für jede Fragestellung und jedes Forschungsvorhaben im Agrarsektor die passenden Teilnehmer finden.
Effiziente Feldarbeit: Anpassung an den landwirtschaftlichen Alltag
Bei der Durchführung der Interviews berücksichtige ich den landwirtschaftlichen Alltag und passe mich an: Telefonisch beschränke ich mich auf maximal 60 Minuten, persönlich auf bis zu 90 Minuten. Bei komplexen Themen kann das Gespräch in mehrere Einheiten unterteilt werden, wobei auch digitale Formate wie Webmeetings zum Einsatz kommen können, besonders wenn visuelle Inhalte eine Rolle spielen. Die traditionelle Empfehlung, Tiefeninterviews in Teststudios durchzuführen, ist im Agribusiness oft nicht praktikabel. Die räumliche Distanz und die Kosten sprechen dagegen.
Erfahrung im Agrarbereich und moderne Analysetechniken machen Tiefeninterviews zugänglich und erschwinglich für alle Agrarunternehmen
Selbst mit einer kleineren Stichprobe von 7-9 Expertengesprächen pro Thema, ermöglichen Tiefeninterviews eine umfassende Darstellung von Meinungen, Reaktionen und Emotionen. Die offene Gesprächsführung und die vertrauensvolle Atmosphäre, erlauben Einblicke in sonst schwer zugängliche Einstellungen und Meinungen der Landwirte. Die Herausforderungen in Bezug auf Kosten und Auswertungsaufwand werden durch effiziente Durchführung und den Einsatz von KI-Tools zur Datenanalyse minimiert, wodurch der Fokus verstärkt auf wertvolles Kundenfeedback gelegt werden kann. Dank meiner langjährigen Erfahrung im Agrarsektor kann ich aus den gewonnenen Erkenntnissen konkrete und zielgerichtete Handlungsempfehlungen ableiten, die den Auftraggebern helfen, ihre Strategien und Produkte optimal auf die Bedürfnisse der Landwirte abzustimmen.
Fallbeispiele von Tiefeninterviews im Agribusiness

Abb. 3 Übersicht über mögliche Einsatzfelder von Tiefeninterviews im Agribusiness
Kundenkommunikationsanalysen spielen eine zentrale Rolle im Rahmen des Client Insight Dialogues. Sie dienen der Erfassung der Customer Experience (Fremdwahrnehmung) und der Analyse von Kontaktpunkten entlang der Customer Journey (s.u. Blogbeitrag "Landwirte Journey": Was heisst das?)
Praxis in der Landwirtschaft: Ein konkretes Beispiel hierfür sind Diskussionen mit Landwirten über ihre Nutzung von Herstellerkontaktpunkten. Ein Landwirt könnte etwa sagen: „Ich besuche die Webseite des Herstellers, um die empfohlene Aussaatstärke nachzuschlagen, weil diese Information auf der Saatgutverpackung fehlt oder der Aufdruck zu klein ist."
Nutzerverhaltensanalysen zielen darauf ab, das Verhalten und die Präferenzen der Zielgruppe zu verstehen. Es geht darum, tiefere Einblicke in die alltäglichen Prozesse und Entscheidungen der Nutzer zu gewinnen.
Praxis in der Landwirtschaft: Ein praktisches Beispiel ist die Untersuchung der Methoden und Überlegungen, die Landwirte bei der Aussaat anwenden. Die Frage „Wie kommt die Saat in den Boden?“ öffnet den Raum für Diskussionen über verschiedene Aussaattechniken (Direktsaat, Mulchsaat, Pflugsaat...), um Aufschluss darüber geben, welche Aspekte der Saatgutprodukte und -technologien für Landwirte besonders wichtig sind und wie Hersteller ihre Produkte und Dienstleistungen besser auf die Bedürfnisse der Landwirte abstimmen können.

Abb. 4 Aussaattechniken (Nutzerverhalten)
Imageanalysen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewertung des Images von Marken und Unternehmen. Sie helfen zu verstehen, wie Kunden und potenzielle Kunden eine Marke wahrnehmen und welche Assoziationen und Emotionen sie damit verbinden.
Praxis in der Landwirtschaft: Diskussion mit Landwirten über ihre Wahrnehmung der Marke XY. Die Frage „Was verbinden Sie mit der Marke XY?“ könnte Antworten hervorrufen wie: „Diese Marke steht für einen hohen Preis.“ Dies zeigt, dass die Marke möglicherweise als teuer, aber auch als möglicher Indikator für Qualität und Zuverlässigkeit wahrgenommen wird. Solche Einblicke sind wertvoll, um das Markenimage gezielt zu steuern und Kommunikationsstrategien anzupassen.
Die Erforschung sensibler und komplexer Themen erfordert besondere Fingerspitzengefühl und Verständnis. Es geht darum, komplexe Entscheidungen, Produkte sowie politische und gesellschaftliche Themen aufzuklären und die wahren Beweggründe und Einstellungen der Befragten zu erfassen..
Praxis in der Landwirtschaft: Derzeitige Untersuchungen der Motivationen von Landwirten, die an öffentlichen Demonstrationen teilnehmen. Eine vertiefende Frage wie „Warum gehen Sie auf die Straße? Geht es dabei wirklich nur um die Streichung der Dieselsubventionen?“ ermöglicht es, über die offensichtlichen Gründe hinauszuschauen und die tiefer liegenden Beweggründe zu verstehen. Dies kann Einblicke in das breitere Spektrum der Anliegen und Sorgen von Landwirten bieten.
Das „Jobs-to-be-done“-Framework hilft dabei, Kundenbedürfnisse tiefgehend zu verstehen, indem das Nutzungsverhalten und die Gründe für die Nutzung oder Ablehnung von Produkten und Dienstleistungen analysiert werden. Es geht darum, welche Aufgaben die Kunden mit einem Produkt erledigen wollen und welche Hindernisse ihnen dabei im Weg stehen.
Praxis in der Landwirtschaft: Ich erinnere mich an Traktor-Clinics, die unter anderem darauf abzielen, das Design und die Funktionalität der Kabinen von Traktoren zu bewerten. Besonders eindrücklich war der Fall bei Traktoren unter 50 PS, die vorrangig von Landschaftsgärtnern und Kommunen eingesetzt werden. Bei diesen Tests stellte sich heraus, dass jeder potenzielle Kunde beim Betreten der Kabine vergeblich nach einer Ablagefläche für sein Klemmbrett oder iPad suchte. Entweder fehlte der Platz dafür gänzlich, oder das Innendesign war so stark von geschwungenen Formen geprägt, dass eine ebene Ablagefläche nicht vorhanden war. Dies wurde als signifikanter Nachteil wahrgenommen, da eine solche Ablagefläche für die tägliche Arbeit (Dokumente für Kunde A, Kunde B) essenziell ist.

Abb.5 Skizze Kompakttrator im Rahmen von Jobs.to-be-done Studien
After-Sales-Analysen sind entscheidend, um die Gründe für die Kaufentscheidung und die Präferenzen der Kunden nach dem Kauf zu verstehen. Sie bieten Einblicke, wie Produkte und Dienstleistungen verbessert und Kundenerwartungen übertroffen werden können.
Praxis in der Landwirtschaft: Bewertung des Kundenservices nach dem Kauf eines Traktors. Durch Tiefeninterviews mit Landwirten, die ein bestimmtes Modell auch wegen seines umfassenden Kundenservicepakets gewählt haben, zeigt sich, dass die schnelle und zuverlässige Unterstützung bei technischen Problemen – besonders in kritischen Zeiten wie der Ernte – zu hoher Kundenzufriedenheit führt. Dies unterstreicht, wie wichtig After-Sales-Services für die Kundenbindung im Agrarsektor sind.
Zielgruppenanalysen dienen der Bildung von Zielgruppentypologien oder Personas, die besonders bei Produktneueinführungen relevant sind. Sie helfen zu verstehen, für welche spezifischen Kundensegmente ein Produkt am besten geeignet ist und wie es deren Bedürfnisse erfüllt.
Praxis in der Landwirtschaft: Ein praxisnahes Beispiel könnte die Markteinführung eines neuen Roboters zur Stallreinigung sein. Um die Zielgruppe für diesen Roboter zu bestimmen, könnten Tiefeninterviews mit Landwirten geführt werden. Dabei wäre es wichtig zu ermitteln, für welche Tierarten (z.B. Kühe, Schweine, Pferde) und Betriebsgrößen (Anzahl der Tierplätze) der Roboter besonders geeignet ist. Fragen nach der aktuellen Stallreinigungsroutine, den Herausforderungen dabei und dem Interesse an automatisierten Lösungen würden dabei helfen, die Bedürfnisse und Präferenzen der Landwirte zu verstehen und somit die idealen Anwender des Roboters zu identifizieren.
Die Exploration von Themen ermöglicht eine tiefe Betrachtung von Nutzungsmotiven, Bedürfnissen und Trends. Dieser Ansatz ist besonders wertvoll, um langfristige Entwicklungen und potenzielle Veränderungen in der Nutzung von Produkten und Technologien zu verstehen.
Praxis in der Landwirtschaft: Angesichts der rasanten Fortschritte bei autonomen Fahrzeugen könnte man sich fragen, ob im Jahr 2030 die Kabine eines Traktors noch einen Sitz benötigt, wenn der Traktor weitgehend autonom fährt. Durch Tiefeninterviews mit Landwirten, Landtechnikherstellern und Agrartechnologie-Experten könnte man untersuchen, welche Vorstellungen und Erwartungen sie bezüglich der zukünftigen Rolle des Menschen in der Landwirtschaft haben. Dies könnte Aufschlüsse darüber geben, ob und in welcher Form eine Kabine für Überwachungs- oder Steuerungsaufgaben benötigt wird oder ob sich das Konzept des Traktorfahrens gänzlich verändern wird. Solche Diskussionen helfen dabei, langfristige Trends zu identifizieren und die Entwicklung zukunftsfähiger Landtechnikprodukte zu leiten.

Agrarmarktforschung: Entscheiden mit Daten und Insights
In der Agrarmarktforschung spielen verlässliche Daten und fundierte Insights eine zentrale Rolle, um präzise Entscheidungen zu treffen und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Dieser Blogbeitrag beleuchtet, wie Unternehmen im Agrarsektor durch die gezielte Nutzung von Primär- und Sekundärdaten ihre Marketingstrategien optimieren und Wettbewerbsvorteile sichern können.